Call

Verwurzelung und Akkulturation. Erfahrungen deutscher Migranten in den USA (1883-1918)

Bordeaux, 14.-16. Oktober 2021

https://us-germans-bdx.sciencesconf.org

** Call for Papers **

1883 wurde das zweihundertjährige Jubiläum der Gründung von Germantown und somit der Niederlassung der ersten deutschen Einwanderer in Nordamerika begangen. Die damit verbundenen Veranstaltungen und Initiativen wurden zum Ausgangspunkt eines Selbstreflektierens und einer Bewusstwerdung innerhalb der deutschsprachigen Gemeinschaft. In Vorträgen, Podiumsdiskussionen und Veröffentlichungen wurde kontrovers diskutiert, wie der Rückgang der deutschen Kultur in den USA vermieden werden könne und welche Mittel die Gemeinschaft einsetzen könne, um ihren Stellenwert zu fördern und ihren Beitrag zur Bildung der amerikanischen Nation deutlicher hervorzuheben. In diesem Zusammenhang wurde über die Spezifitäten der deutschamerikanischen Gemeinschaft und über die Rückbesinnung zu deren kulturellen Wurzeln geforscht und publiziert.

Diese Debatte dauerte unter veränderten Bedingungen bis zum Ende des Ersten Weltkriegs an. Zunehmend wurden in der nordamerikanischen Öffentlichkeit die Positionierungen von Deutschamerikanern gegenüber der imperialistischen Außenpolitik Wilhelms II. hinterfragt und die kaiserlichen Bemühungen um eine Instrumentalisierung deutschstämmiger Gemeinschaften im Ausland kritisiert. Es entstand in diesem Zusammenhang eine Debatte über Patriotismus und über die vermeintliche Treue der Deutschamerikaner zu den Gründungswerten der USA. Die deutschsprachige Gemeinschaft wurde mit Misstrauen und diskriminierenden Maßnahmen konfrontiert, da ihr eine vollständige Identifikation mit der amerikanischen Nation immer wieder abgesprochen wurde.

Angesichts dieser Phase der Verunsicherung und des Selbstreflektierens wird bei der Tagung nach dem Modell der Integration gefragt: Fand zwischen 1883 und 1918 ein Übergang statt, bei dem ein offenes Integrationskonzept mit Rücksicht auf kulturelle, soziale und politische Eigenschaften von einem Assimilationsmodell abgelöst wurde, in dem sich die deutschsprachige Gemeinschaft ganz dem Rahmen der dominierenden Kultur anpasst? Welche Funktion spielte diesbezüglich die Auseinandersetzung mit den kulturellen Ursprüngen des deutschamerikanischen Selbstverständnisses? Wie positionierten sich wiederum deutschamerikanische Akteure gegenüber den Konzepten von Amerikanertum, Nation, Identität und Ethnizität oder gar Rasse, die seitens der englischsprachigen Öffentlichkeit unterbreitet wurden?

Um dieser Fragestellung nachzugehen, werden bei der Tagung drei Themenfelder berücksichtigt:

1. Die Perspektive der Geschichtsschreibung

In den Jahren 1883 bis 1918 wurden zahlreiche Bemühungen unternommen, eine eigenständige deutschamerikanische Geschichtsschreibung entstehen zu lassen. In diesem Zusammenhang ging es darum, den Migrations- und Niederlassungsprozess als erfolgreichen Beitrag zur Entstehung der amerikanischen Nation hervorzuheben. Immer wieder wurden angebliche deutsche « Elemente » und Eigenschaften als Bereicherung für die Weiterentwicklung und Ausstrahlung der Vereinigten Staaten dargestellt. Wie wurde in diesem Zusammenhang die Verwurzelung in den Herkunftskulturen der deutschsprachigen Territorien thematisiert? Wurde bei der Darstellung der Einwanderung und der Integration eher ein Festhalten an ein kulturelles Erbe oder eine resolute Hinwendung zu einem neuen Referenzrahmen hervorgehoben? Führte diese Bildung einer deutschamerikanischen Geschichtsschreibung zur Entwicklung eines eigenen Konzeptes der US-amerikanischen Nationswerdung? Welche Rolle spielten dabei etwaige deutschamerikanische Abgrenzungsversuche gegenüber den anderen ethnischen Gruppen auf nordamerikanischem Boden?

2. Die Stellung der « deutschen Sprache »

Aus sprachwissenschaftlicher Sicht soll die Stellung der deutschen Sprache und der deutschen Dialekte im Verhältnis zum Englischen im Zentrum der Aufmerksamkeit stehen, auch wenn Kontakte mit den anderen Sprachen aus dem US-amerikanischen Umfeld berücksichtigt werden können. Zum einen geht es um die Pflege der deutschen Sprache in einem institutionellen Kontext, der nicht frei von Spannungen war: Wie wurde die deutsche Sprache in den USA gepflegt und gefördert ? Wie reagierten etwa die deutschsprachigen Emigrantengruppen auf Initiativen wie dem 1889er Bennet-Gesetz im Wisconsin, das die Stellung der deutschen Sprache im Bundestaat untergraben sollte? Parallel dazu lässt sich auch fragen, was genau unter den Begriffen der Deutschsprachigkeit und der deutschen Sprache in den USA zu verstehen ist, und wie sich die deutschen Sprachvarietäten auf nordamerikanischen Boden weiterentwickelt haben. Lässt sich auch die damalige soziolinguistische Situation wirklich als Diglossie zwischen Deutsch und Englisch bezeichnen? Sind nicht in manchen Fällen Phänomene der Triglossie anzunehmen, wo eine „deutsche“ Mundart sowohl einer hochdeutschen Schriftvariante gegenübersteht, als auch dem amerikanischen Englisch? Welche Rollen nahmen die jeweiligen hoch- und niederdeutschen Dialekte und Varianten, die in den USA vorhanden waren, in der Selbstfindung einer US-amerikanischen „deutschen“ Sprachgemeinschaft? Umgekehrt: Welche Wirkung und Relevanz soll denn dem europäischen Standard beigemessen werden, zumal die in Betracht gezogenen Jahre der letzten Phase der Standardisierung einer einheitlichen europäischen Hochvariante entsprechen (u.a. mit den Namen Theodor Siebs und Konrad Duden verbunden). Spielten noch die europäischen Standards eine ausschlaggebende Rolle für die Entwicklungen der amerikanischen Varianten?

Diese historischen und theoretischen Fragestellungen begegnen auch methodologischen Problemen. Die berücksichtigte Zeitspanne kennzeichnet sich durch eine beträchtliche Anzahl an Zeitschriften und belletristischen Quellen. Sind etwa regionale Pressetitel verlässliche Zeugnisse vom doppelten Prozess der (regionalen) Koineisierung und Standardisierung? Müssen wir die Frage nach dem Einfluss der konzeptionellen Schriftlichkeit in der Produktion dieser Zeugnisse berücksichtigen, sofern konzeptionelle Schriftlichkeit vs. Mündlichkeit selbst ein Faktor der Variation sein kann? Wie sind insgesamt diese Quellen auszuwerten?

3. Die soziale und politische Komponente des deutschamerikanischen Selbstverständnisses

Insbesondere ab 1883 stand die Frage nach dem Zusammenhalt der deutschamerikanischen Gemeinschaft im Mittelpunkt: Auf Grund der zunehmenden sozialen Heterogeneität der deutschstämmigen Bevölkerung wurde nach Kräften, Institutionen und Akteuren gesucht, welche das Zusammengehörigkeitsgefühl innerhalb der Gemeinschaft und mit den deutschen Territorien fördern könnten. Wie entwickelte sich das Mitte des 19. Jahrhunderts ausgeprägte Vereinsleben? Wer waren die aktiven Kräfte, die das Zusammengehörigkeitsgefühl fördern wollten: die in den deutschen Territorien (Native-born Germans) oder die bereits in den USA geborenen? Wie setzten sich Frauen ein, die zunehmend Aufgaben und Verantwortung im Vereinswesen aber auch im Schulwesen übernahmen? Welche Rolle für den Zusammenhalt spielten die unterschiedlichen konfessionellen Gemeinden? Wie positionierten sich Deutschamerikaner in den besagten Jahrzehnten gegenüber den im Deutschen Reich und in der Doppelmonarchie dominierenden politischen Strömungen (nationalliberal, sozialdemokratisch, konservativ, imperialistisch, antisemitisch)?

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Zur Behandlung der drei thematischen Schwerpunkte bitten wir um die Einreichung von Beitragsvorschlägen in Form einer Vortragsskizze (max. 500 Wörter) und eines kurzen Lebenslaufs (max. 150 Wörter). Arbeitssprachen sind Deutsch und Englisch.

Die Vorschläge können bis zum 15. Oktober 2020 an unten stehende Email-Adressen geschickt werden. Die Zusage für die ins Tagungsprogramm aufgenommenen Beiträge wird zum 15. Januar 2021 mitgeteilt.

 

Tristan.Coignard [@] u-bordeaux-montaigne.fr

Pierre-Yves.Modicom [@] u-bordeaux-montaigne.fr

 

 

 

 

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